Anfang Sommer hatte ich die Ehre, Ron Kubsch von Evangelium21 ein paar Fragen zu stellen. Ron Kubsch ist Studienleiter am Martin Bucer Seminar in München, Dozent für Apologetik und Neuere Theologiegeschichte sowie 2. Vorsitzender und Generalsekretär bei Evangelium21. Er lebt zusammen mit seiner Frau und der jüngsten Tochter in München. Hier ist das Interview; eine Englische Version folgt sobald ich sie fertig habe.
Christoph: Erzähl ein bisschen von dir. Wer bist du, was ist deine Rolle in der Kirche?
Ron: Ich bin ja in der wunderschönen Sächsischen Schweiz, also in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Mein Vater ist Ende der siebziger Jahre in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet. Als Familie konnten wir zwei Jahre später ausreisen. Eine ältere Freundin unserer Familie schenkte mir zum Abschied eine Lutherbibel aus dem Jahre 1912. Ich erkannte, dass Jesus Christus die Antwort auf die Fragen meines Lebens ist. Gott ist gut und stellte mir Christen zur Seite, die mir halfen, das Evangelium zu verstehen. Die Gespräche, die sich über einige Monate hinzogen, führten dann zu meiner Bekehrung und schließlich zu meiner Taufe.
Nach meiner theologischen Ausbildung bin ich zusammen mit meiner Familie in die Außenmission gegangen. 1998 kehrte wir zurück und ich landete schließlich beim Martin Bucer Seminar. Das ist ein theologisches Seminar. Martin Bucer war ein Reformator der ersten Generation, der mit Martin Luther und Johannes Calvin zusammengearbeitet hat. Wir bilden berufsbegleitend Christen für den geistlichen Dienst aus. Seit 2015 leite ich das Studienzentrum in München. Derzeit haben wir dort 40 eingeschriebene Studenten.
Vor ca. 10 Jahren war ich an der Gründung eines reformatorischen Netzwerks beteiligt und arbeite dort noch immer gern mit. Das Netzwerk heißt Evangelium21. Wir haben uns den Solas der Reformation verpflichtet. Wir meinen, dass das Evangelium von Jesus Christus auch im 21. Jahrhundert die Kraft hat, Menschen zu retten und zu einem Leben zu befähigen, dass sie zur Ehre Gottes führen.
Eins hätte ich fast vergessen. Seit einem halben Jahr gehöre ich zur Leitung der Freien evangelischen Gemeinde München Mitte. Es macht mir viel Freude, in der Gemeinde mitarbeiten zu dürfen.
Christoph: Wie geht es dir? Wie können wir gezielt für dich beten?
Ron: Uns geht es als Familie sehr gut. Wir sind dankbar, in diesen spannenden Zeiten leben zu dürfen. Wir haben den Eindruck, dass einerseits Europa sich von Gott loslöst. Andererseits erleben wir, dass vor allem auch junge Menschen sich leidenschaftlich vom Evangelium in Anspruch nehmen lassen. Wir sind sehr gespannt, was Gott tun wird.
Bitte betet dafür, dass wir als Familie geistlich wachsam leben. Betet für einen geistlichen Aufbruch im deutschsprachigen Europa.
Christoph: Was sind 2 oder 3 Dinge die, verglichen mit den USA, kulturell anders sind in Deutschland?
Ron: Ich bin nur einmal in den USA gewesen. Das war eine kurze Reise auf eine Konferenz. Aber natürlich habe ich liebe nordamerikanische Freunde. Ich glaube, viele Nordamerikaner sind freundlicher und offener als der durchschnittliche Deutsche. Ich habe viele Amerikaner kennengelernt, die unvorstellbar großzügig sind. Da können wir uns eine Scheibe abschneiden. Wir sind ziemlich verschlossen und zurecht bekannt dafür, dass wir gern kritisieren. Aber die Kultur ändert sich natürlich. 44 Prozent der Menschen in München stammen aus dem Ausland. Unserer Gemeinde hat ca. 400 Mitglieder. Sie kommen aus 40 Nationen.
Christoph: Helfe uns, Deutsche zu verstehen (Christ oder nicht). Generell gesprochen, was kümmert sie? Was erwarten sie vom Leben?
Ron: Dass wir Deutschen Sauerkraut lieben, wird gern erzählt. Aber Sauerkraut wird auch in anderen Ländern gern gespeist, etwa in Polen.
Ich glaube, wir sind sehr sicherheitsorientiert und – wenn ich das so sagen darf – ziemlich staatsgläubig. Ich selbst bin da eher libertär und glaube, dass ein Staat nicht zu groß werden darf. Die Deutschen zahlen zum Beispiel unglaublich viele Steuern. Der Staat entscheidet dann darüber, wie diese Geld ausgeben wird.
Wir lieben traditionell die Wissenschaften. Doch denke ich, dass wir da nicht mehr, so wie früher, an der Spitze stehen.
Was für viele westliche Gesellschaften zutrifft, gilt auch für Deutschland. Gott ist nur noch eine Option. Viele Menschen in Deutschland machen sogar Gott oder die christliche Religion für die Probleme verantwortlich, die wir haben.
Christoph: Menschlich gesehen, was hält jemanden in Deutschland davon ab, Christ zu werden? Welche Hürden stehen einem da entgegen?
Ron: Wie ich gerade sagte, erwarten viele Deutsche nichts von Gott. Sie wollen selbst darüber entscheiden, worum es im Leben geht. Luther sagte einmal: Die Menschen wollen nicht, dass Gott Gott ist. Ich denke, es beschreibt alle Menschen, aber unsere Generation vielleicht besonders treffend. Die Leute wollen nicht, dass da jemand ist, der ihnen etwas vorschreibt und sagt, wo es lang geht. Es geht ihnen so gut, dass sie auch ohne Gott zurechtkommen. Die Trauerarbeit ist abgeschlossen. Die Menschen vermissen Gott nicht.
Christoph: Was kümmert Christen in Deutschland? Worüber denken sie? Was ist ihnen wichtig?
Ron: Ich glaube, wir haben vergessen, dass Gott heilig ist. Das scheint mir ein großes Problem zu sein. So verbringen viele Christen ihre Zeit mit dem Entertainment oder mit der Selbstoptimierung. Gottesdienste sind dann schön, wenn sich Menschen wohlfühlen. Der Glaube wird als ein attraktives Angebot vermittelt. Er wird in einer Weise verkündigt, dass er keinen Anstoß mehr weckt. Ich glaube, Jesus war da ganz anders unterwegs. Denken wir nur an Luk 9,23–24: „Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es retten.“ Wenn wir das Gesetz, also den Anspruch Gottes nicht verkündigen, werden wir auch nicht verstehen, was das Gute an der Guten Nachricht ist.
Christoph: Spezifisch mit Evangelium21, was ist euer Ziel? Und wie sieht der Fortschritt aus?
Ron: Evangelium21 ist ein Netzwerk von Christen, die ihren Glauben fest auf Jesus Christus gründen. Obwohl wir verschiedenen Kirchen und Gemeinden angehören, verbindet uns das uneingeschränkte Vertrauen in die Heilige Schrift sowie eine reformatorisch ausgerichtete Theologie.
Die zentrale Botschaft der Heiligen Schrift ist das Evangelium vom Retter und Herrn Jesus Christus, der am Kreuz stellvertretend für unsere Sünde starb und auferstand, um uns neues Leben zu schenken. Das biblische Evangelium ist auch im 21. Jahrhundert Gottes Kraft. Es erfüllt Christen mit einer tragfähigen Hoffnung sowie überwältigenden Freude an Gott und gehört in das Zentrum der Gemeindearbeit.
Wir wollen, dass dieses wunderbare Evangelium in den Gemeinden wieder zu schmecken ist. Deshalb geben wir verschiedene Ressourcen heraus und veranstalten regelmäßig Konferenzen. Die Konferenz zum 500. Reformationsjubiläum wurde von fast 2000 Leuten besucht. Zu den Hauptrednern gehörten Al Mohler und Mark Dever, die vielen in den USA von T4G bekannt sind. Unserer Website www.evangelium21.net, auf der fast täglich neue Beiträge erscheinen, wird sehr gut angenommen.
Christoph: Was ist der grösste Bedarf der Kirche in Deutschland? Woran mangelt es am meisten?
Ron: Ich glaube, es mangelt vor allem an einer Verkündigung, die aus dem Wort Christ kommt. Woher soll der Glauben kommen, wenn das Wort Gottes nicht zu hören ist (vgl. Röm 10,17)?
Christoph: Danke und alles Gute!